Eine Bibel zwischen Tradition und Aufbruch
Im 19. Jahrhundert übersetzte der jüdische Gelehrte Ludwig Philippson die hebräische Bibel ins Deutsche – nicht nur für die Synagoge, sondern auch für Haus und Schule. Seine „Israelitische Bibel“ wurde zum Symbol der kulturellen Selbstbehauptung und Integration des Judentums in die deutschsprachige Gesellschaft.
Lange vergessen, liegt sie heute in einer neu bearbeiteten Fassung wieder vor – ein Zeichen jüdischer Bildungskraft und religiöser Erneuerung.
Mehr dazu im Text von Dr. Winfried Bader.
Eine Bibel, die man „von hinten“ aufblättert
Das gesamte zweisprachige Druckwerk – obwohl es hauptsächlich wegen der Übersetzung gemacht ist – hält sich an die hebräische Schreibkonvention von rechts nach links. Das Deckblatt des Einbands ist «hinten». Man nimmt das Buch und schlägt den Deckel nach rechts auf. Hier – für unser Empfinden «hinten» im Buch – findet sich der Titel und beginnt die Zählung der Seiten bei 1 (beachten Sie die Seitennummerierung). Auch bei der nur in Deutsch geschriebene Einführung ist jeweils zuerst die rechte Seite zu lesen, dann die linke, um danach die Seite nach rechts umzuschlagen.

Die Tora. Die fünf Bücher Mose und die Prophetenlesungen ● Die Propheten ● Die Schriften, (hebräisch-deutsch) in der revidierten Übersetzung von Rabbinger Ludwig Philippson, herausgegeben von Walter Homolka, Hanna Liss und Rüdiger Liwak, Darmstadt 2015, 2016 und 2018.
Eine Bibel – drei Bände
Wegen des grossen Umfangs des Werks waren mehrere Bände notwendig. Es fällt auf, dass diese sehr unterschiedlich dick ausgefallen sind. Die Dreiteilung ist also nicht buchbinderischer Zufall, sondern folgt der inneren Logik des Aufbaus der hebräischen Bibel in drei Teile:

Die drei Bände der israelitischen Bibel: Tora, Propheten und Schriften
Der erste Teil ist die Tora, die fünf Bücher Mose. Der zweite Teil sind die Nebi’im, zu Deutsch: Propheten. Zu ihnen gehören die in christlichen Bibeln Geschichtsbücher genannten Teile sowie die bekannten Propheten Jesaja, Jeremia, Ezechiel und das Zwölfprophetenbuch. Diese sind in christlichen Bibeln ans Ende des Ersten Testaments platziert, um auf das Neue Testament hinzuweisen. In der jüdischen Tradition sind sie eng verbunden mit der Tora, blicken auf diese, legen sie aus und aktualisieren sie in die Zeit hinein. Deswegen stehen die Prophetenbücher unmittelbar nach der Tora.
Der dritte Teil sind die Schriften, ein Sammelbegriff für alles Sonstige. Nimmt man die Anfangsbuchstaben der Namen dieser drei Teile aus dem Hebräischen, Tora – Nebi’im – Ketubim, und liest sie als ein Wort „TaNaK“, so hat man den Begriff, mit dem jüdische Menschen gerne ihre Bibel bezeichnen.
Jüdische Übersetzungen in die Landessprache: Ein Aufbruch
Ähnlich wie in der christlichen Reformationszeit die Zugänglichkeit der Bibel in der Landessprache zu einem grossen Aufbruch wurde, führten ab dem 18. Jahrhundert auch jüdische Bibelübersetzungen zu einem geistigen Aufbruch.
Ein herausragendes Beispiel ist Rabbiner Ludwig Philippson, der 1859 – dem christlichen Vorbild folgend – die Israelitische Bibelanstalt gründete. Ihr Ziel: die Herstellung und Verbreitung preiswerter Bibeln in hebräischer Sprache mit deutscher Übersetzung. Denn, so Philippson: „Der blosse hebräische Text ist in unsere Zeit nicht genügend, und die blosse Übersetzung wiederum nicht zweckentsprechend. Text und Übersetzung zugleich ist das allgemeinste Bedürfnis. Aber diesem Bedürfnis muss so abgeholfen werden, dass es dem Armen weder Opfer kostet, die Bibel zu kaufen, noch Mühe und Schwierigkeiten macht, sie erlangen zu können“.
Bibelkommentierung als ökumenischer Dialog
Rabbi Philippson ist in seiner Kommentierung sehr offen. Er sagt, und tut es auch, dass neben den Rabbinern die Erkenntnis von Naturwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Geografie und Archäologie berücksichtigt werden müssen, und natürlich auch die Forschungen von christlichen Theologinnen und Bibelwissenschaftlerinnen. „Das Judentum ist als Träger des ethischen Monotheismus Leitbild für die Umweltkulturen in der Vergangenheit ebenso wie in der Gegenwart. … Die universale Aufgabe Israels in der Welt ist es, … die Ideale der Sittlichkeit, der Humanität und der Nächstenliebe zu verbreiten“.
Schicksal der Geschichte ist es, dass christlicherseits dieser universale ökumenische Aufbruch nicht mitgemacht wurde, sondern gerade die führenden christlichen Gelehrten zu einem Antisemitismus beitrugen, der fatal in der Schoah endete. So ist die Neuedition von Rabbi Philippsons Bibel die Hoffnung, dass im 21, Jh. die Kluft überwunden werden kann und der gemeinsame ethische Universalismus Anerkennung findet.
In folgendem Dokument finden Sie eine ausführlichere Beschreibung:
Ludwig Philippson Israelitische Bibel
Über den Autor
Dr. Winfried Bader ist Initiator und Präsident des Vereins „bibelkultur“, gegründet am 2. April 2025 in Luzern.
Als engagierter Kulturvermittler setzt er sich dafür ein, die Bibel als bedeutendes kulturelles Erbe sichtbar zu machen. Mit „bibelkultur“ schuf er eine Plattform, die biblische Übersetzungen sammelt, wissenschaftlich aufarbeitet und durch Veranstaltungen deren Wirkungsgeschichte vermittelt. Der Verein ist politisch unabhängig, konfessionell neutral und gemeinnützig.
Kontakt
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