Das Buch der Sprichwörter spiegelt Lebensweisheit und Alltagsklugheit, tiefsinnige religiös-philosophische Reflexion und internationalen Kulturaustausch. Dass ein ganzes Buch voller Sprichwörter in den jüdischen Kanon aufgenommen wurde zeigt, dass die Spruchweisheit als Ausdruckform von Welt- und Gotteserkenntnis anerkannt wird. Aus heutiger Sicht sind nicht alle Sprichwörter über jeden Zweifel erhaben, sondern auch von zeitbedingten Begrenztheiten geprägt.
Der zweite Buchteil (10,1-22,16), der Salomo, dem prototypischen Weisen des Alten Testaments, zugeschrieben wird. Der Prolog des Buches (1,1-7) sagt selbst, was diese Sammlung von Sprüchen aus vielen Jahrhunderten aus dem ganzen Alten Orient will: Weisheit und Erkenntnis den Leser:innen zu vermitteln und – das ist das Spezifische in Israel – Gottesfurcht zu erlangen. Im ersten Teil Kap. 1–9, der in diesem Jahr gelesen wird, sprechen Eltern zu ihren Kindern, vor allem aber spricht die als Frau personifizierte Weisheit selbst. In der Frau Weisheit, die vor aller Zeit schon bei Gott war, beim Schöpfungswerk mithalf und Gott dabei begleitete und erfreute (8,25-31), wirkt Gott auf der Erde: «Die Weisheit ruft laut auf der Strasse» (1,20).
Abgeschlossen wird dieser erste Teil durch die auf allen Plätzen der Stadt für alle Menschen ausgerufene Einladung zum Einkehren im Haus der Weisheit mit seinen sieben Säulen (das ist eine Anspielung auf die sieben Teile des Buchs der Sprüche), dort vom Mahl der Weisheit zu essen und ihren Wein zu trinken. Ein grossartiges Bild von Gott, der als Frau Weisheit Gastgeberin für alle ist.